NTT DATA Business Solutions
Sandrine El Sauaf | März 22, 2022 | 6 min.

Die Macht der Unconscious Biases – und wie wir uns entziehen können

Wie stellen Sie sich eine leitende Person in der IT vor? Männlich, mittleres Alter, Brillenträger, Science-Fiction-Fan – ungefähr so? Oft denken wir in solchen Klischees und medial verbreiteten Stereotypen. Dies tun wir öfter als uns überhaupt bewusst ist. Doch was steckt eigentlich hinter diesem Phänomen der vorschnellen Meinungsbildung? Wie wirkt es sich im Berufsleben aus? Und gibt es Möglichkeiten, sich davon freizumachen?

Dr. Sandrine El Sauaf, Global Head of Diversity & People Business Partner Headquarter, und Daniela Siekmann, Senior Specialist Controlling & Diversity Management, sprechen über das Thema der sogenannten „Unconscious Biases“ und zeigen auf, wie sich Führungskräfte und Mitarbeitende ihrer automatisch ablaufenden Denkmuster bewusster werden können.

Worum handelt es sich bei sogenannten Unconscious Biases?

Dr. Sandrine El Sauaf, Global Head of Diversity & People Business Partner Headquarter
Dr. Sandrine El Sauaf | Global Head of Diversity & People Business Partner Headquarter

Dr. Sandrine El Sauaf: Bei Unconscious Bias handelt es sich um unbewusste Denkmuster. Diese sind Teil unserer gesellschaftlichen Sozialisation und daher kann sich niemand von ihnen freisprechen. Wie der Begriff schon sagt, sind wir uns dieser Denkmuster nicht bewusst. Nichtsdestotrotz oder vielmehr gerade deshalb haben sie häufig sehr starke Auswirkungen auf unser alltägliches Verhalten. Unsere Unconscious Biases führen dazu, dass wir Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe unterbewusst bestimmte Fähigkeiten zuschreiben oder absprechen. Dies ist nicht etwa der Ausnahmefall. Ob im privaten oder beruflichen Umfeld – jeden Tag aufs Neue tun wir dies automatisch, ohne reflektiert darüber nachzudenken, ob unsere Einschätzung überhaupt richtig ist. Werden wir mit diesen unbewussten Denkmustern konfrontiert, sind wir häufig über unsere eigenen Annahmen erschrocken. Dies macht auch den Unterschied zu bewussten Vorurteilen aus, denn anders als Vorurteile müssen Unconscious Biases von uns gar nicht so gemeint sein. Vielmehr haben wir sie über die Jahre unserer Sozialisation und zum Teil auch über unsere Sprache internalisiert.

Dabei gibt es unterschiedliche Arten unbewusster Denkmuster. Sie können sich beispielsweise auf das Geschlecht beziehen oder auch das Alter, den Namen, das Aussehen oder die Herkunft einer Person betreffen. In welcher Form auch immer – letztendlich verpassen wir durch Unconscious Biases in vielen Fällen die Chance, das tatsächliche Potenzial von Menschen zu erkennen.

Wie kann es zu dieser Voreingenommenheit kommen?

Daniela Siekmann, Senior Specialist Controlling & Diversity Management, NTT DATA Business Solutions
Daniela Siekmann | Senior Specialist Controlling & Diversity Management

Daniela Siekmann: Das liegt daran, dass unser Gehirn versucht, so ressourcenschonend und effizient wie möglich zu arbeiten. Daher blendet es weitestgehend alles aus, was für den Moment irrelevant zu sein scheint, und greift bei der Verarbeitung von Informationen in Sekundenbruchteilen auf abgespeicherte unbewusste Denkmuster zurück. Diese sind unter anderem durch kulturelle Einflüsse und mediale Darstellungen geprägt. Durch solche reflexartigen Denkprozesse findet eine Komplexitätsreduktion unserer VUCA-Welt statt und ermöglicht schnell wichtige Entscheidungen zu treffen – besonders in der Geschäftswelt. Schwierig wird es, wenn es um die Bewertung von Personen geht. In gewisser Weise gibt uns unser Gehirn vor, welches Bild wir uns über eine Person machen, bevor wir selbst bewusst darüber entscheiden. Auf diese Weise entstehen auch unbewusste Denkmuster, welche die wahren oder relevanten Eigenschaften einer Person verdecken.

Dementsprechend hat jeder Mensch unbewusste Denkmuster aufgrund der Arbeitsweise des Gehirns?

Dr. Sandrine El Sauaf: Richtig. Niemand kann sich davon freisprechen. Wir können den Autopiloten unseres Gehirns nicht einfach komplett ausschalten. Das ist auch der Grund dafür, weshalb sich niemand für diese Art der Voreingenommenheit schämen muss, denn sie hat nichts mit einer absichtlich negativen Haltung zu tun. Diese ist das Resultat unbewusst ablaufender Denkprozesse, die unsere Entscheidungen beeinflussen können.

Was sind Beispiele für unbewusste Denkmuster im Arbeitsleben?

Daniela Siekmann: Ein unbewusstes Vorurteil im Arbeitsumfeld macht sich über den sogenannten Halo-Effekt bemerkbar, der immer wieder im Rahmen von Beförderungen oder Bewerbungsgesprächen auftritt. Ein Beispiel: Nehmen wir an, ein*e Bewerber*in sei attraktiv und überaus sympathisch. In einem solchen Fall neigen Personaler*innen oft dazu, diese Eigenschaften unbewusst auf die berufliche Qualifikation zu übertragen. Es wird also automatisch angenommen, dass die Person nicht nur nett, sondern auch intelligent und kompetent ist.

Ein anderes Beispiel ist der „Mini-Me“-Effekt. Dieser führt dazu, dass Bewerber*innen positiver wahrgenommen werden, wenn sie im Auftritt und in den Charakterzügen dem Gegenüber ähneln. Stimmen beispielsweise Einstellungen, Werte, Verhaltensweisen, Hobbies oder auch biografische, demographische, physische oder soziale Merkmale überein, entwickeln sich schneller Sympathie und Vertrauen. Diese sind wiederum wichtige Entscheidungskriterien im Einstellungsprozess. Die Kehrseite der Medaille: Bewerber*innen werden hinsichtlich ihrer Kompetenz und Charaktereigenschaften falsch bewertet. Unbewusste Denkmuster können also großen Einfluss darauf haben, wer befördert oder eingestellt wird.

Wir denken also auch im Berufsalltag unbewusst in Klischees. Wie wirkt sich das im Einzelfall für Mitarbeitende aus?

Dr. Sandrine El Sauaf: Von vielen Mitarbeitenden werden unbewusste Denkmuster nicht wahrgenommen, solange sie von diesen nicht berührt werden. Für Betroffene sind die Auswirkungen umso größer, denn sie sind der Nährboden für Fehlentscheidungen, die zur Diskriminierung oder Bevorzugung von Mitarbeitenden führen. Werden diese unbewussten Denkmuster nicht aufgedeckt, kann das im Extremfall sogar dazu führen, dass Betroffene selbst diese Denkmuster unbewusst übernehmen, was sich wiederum auf ihre Leistung auswirkt.

Warum ist es wichtig, sich als Unternehmen Gedanken über das Thema Unconscious Biases zu machen?

Daniela Siekmann: Alle Mitarbeitenden sollten die Chance haben, ihr volles Potenzial zu entfalten. Das ist aber nur möglich, wenn der bewusste Umgang mit Unconscious Biases die Diskriminierung oder Bevorzugung von Personen eindämmt. Dies fördert auch die interne Diversität und zahlt sich für das Unternehmen selbst aus. Denn durch unterschiedliche Perspektiven tritt die Entwicklung kreativer Lösungsansätze an die Stelle typischer Denkmuster ein – eine Grundvoraussetzung für Innovation, die wiederum zum Wachstum von Unternehmen beiträgt. Durch den reflektierten Umgang mit unbewussten Denkmustern entsteht zudem ein faires Entscheidungswesen. Wenn sich alle gerecht behandelt fühlen, steigt die Produktivität wie von selbst. Darüber hinaus spricht eine wertschätzende Arbeitskultur auch diverse neue Talente an.

Erfahren Sie in dem zweiten Teil des Interviews mehr darüber, wie NTT DATA Business Solutions konkret mit “Unconscious Biases” umgeht:

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